Das quälende Gefühl ein Irrtum zu sein: verbreitetes Phänomen in unserer Berufswelt.

Werden Selbstzweifel zu unserem ständigen Begleiter, verselbständigen sie sich, nehmen sie Überhand, dann werden sie zu großem Leid. Unsere Berufswelten fördern diese Entwicklung teilweise. Eine weitverbreitete, ungesunde Spielart der Selbstzweifel ist das Impostor-Syndrom. Es ist keine Seltenheit. Im Gegenteil.
KHB Training Coaching Impostor

Was das Impostor-Syndrom ist und welche Gegenstrategien helfen.

Vorwort:
Das Thema Selbstzweifel treibt mich schon lange um. Auch, weil ich diese Gefühle selbst nur allzu gut kenne. Seit Jahren beschäftigt mich dieses Thema in seinen vielen Ausprägungen aber vor allem beruflich. Als Kollegin, als Mitarbeiterin, als Coach. Immer und immer wieder begegnet es mir.
Aus Selbstzweifeln heraus kann viel entstehen, auch viel Gutes. Werden sie allerdings zu unserem ständigen Begleiter, verselbständigen sie sich, nehmen sie Überhand, dann werden sie zu großem Leid. Unsere Berufswelten fördern diese Entwicklung teilweise. Eine weitverbreitete, ungesunde Spielart der Selbstzweifel ist das Impostor-Syndrom. Es ist keine Seltenheit. Im Gegenteil. Wir könnten dagegen gut angehen. Dazu müssen wir es aber (er)kennen, darüber reden und es aus der Tabu-Ecke herausholen. Das ist eines meiner Ziele. Als Mensch und als Coach.

„Wie viele von Ihnen haben das Gefühl, dass Sie der Irrtum sind, welcher der Zulassungsstelle unterlaufen ist?“ Diese Frage wird regelmäßig den neuen Studenten der wissenschaftlichen Fakultät der Stanford University gestellt – und regelmäßig heben mehr als die Hälfte von ihnen die Hand (Quelle: Olivia Fox Cabane, Das Charisma-Geheimnis, Kapitel 3). Was ist da los? Diese jungen Menschen haben alle bereits eine schulische Karriere hinter sich, die man getrost als überdurchschnittlich bezeichnen kann. Dann haben sie das Auswahlverfahren hinter sich gebracht, das das Studium an dieser Eliteuniversität ermöglicht und eines der härtesten ist, die es gibt. Ihnen wird zugetraut, das Studium, das nur wenigen überhaupt zugänglich ist, erfolgreich zu meistern. Ein großer Teil von ihnen aber zweifelt daran, sich diesen Weg verdient zu haben. Einige werden Umfragen zufolge von Ängsten geplagt, entlarvt zu werden oder eines Tages gnadenlos zu scheitern, weil sie in Wirklichkeit gar nicht das Zeug dazu haben, hier zu studieren. Sie glauben fest, „irgendwie durch das Raster gefallen zu sein“.

So unverständlich dieses Phänomen auch wirken mag, es ist weit verbreitet, unter Frauen wie Männern, Studenten*Innen bis Führungspersönlichkeiten, und es scheint sich sogar zu verstärken, je mehr Stufen auf der Karriereleiter genommen werden. Die Wissenschaft hat seit Ende der 1970er Jahre (erste Studie der Georgia State University, 1978) einen festen Begriff dafür: Impostor-Syndrom. In Deutschland wird es auch als Hochstapler-Syndrom bezeichnet. Dr. Sonja Rohrmann, Psychologieprofessorin an der Universität Frankfurt, betont allerdings, dass es sich hier genau genommen nicht um ein Syndrom im medizinischen Sinn handelt, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal (Quelle: Sonja Rohrmann, Wenn große Leistungen zu großen Selbstzweifeln führen). Es beschreibt eine der zahlreichen Spielarten von Selbstzweifeln, die uns Menschen begleiten. Dabei gilt es hier, genau hinzusehen. Denn jeder von uns hat ab und zu dieses Gefühl, vielleicht doch überfordert zu sein, nicht zu genügen oder zu bezweifeln, dass der eingeschlagene Weg richtig war. Das Phänomen Impostor hebt sich davon allerdings ab.

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Selbstzweifel – eigentlich meint die Natur es gut.

Ein gewisses Maß an Selbstzweifeln ist sogar in uns verankert und hat einen wichtigen Sinn: Uns davor zu bewahren, blindlings in bedrohliche Situationen zu rennen. Diese „gesunden“ Zweifel erkennen wir daran, dass sie uns zur Reflektion anspornen und im Normalfall zu einer Aktion führen: Etwas zu ändern, oder eben nach Überprüfung der Realität zu entscheiden, genauso weiterzumachen. Sie sorgen auch dafür, dass wir uns innerhalb unserer Umgebung einschätzen und einordnen können. Dass wir im besten Fall erkennen, wann wir Hilfe benötigen, fliehen oder handeln müssen. Eigentlich hat die Natur es da sehr gut mit uns gemeint. Wir sind in der Lage, unsere Kraft realistisch einzuordnen, was z.B. in Zeiten von menschlichem Höhlenleben ziemlich hilfreich war. Aber die Grenze zwischen hilfreichen, anspornenden und vorübergehenden Selbstzweifeln und dem ständigen Gefühl, irgendwie fälschlicherweise dort zu sein, wo wir sind, ist fließend. Letzteres spielt in unserer modernen Welt mit ständigen Leistungsabfragen eine große Rolle, die gleichzeitig häufig tabuisiert wird. In einer Studie mit Führungskräften von Dr. Sonja Rohrmann gab annähernd die Hälfte an, diese andauernden Gefühle zu kennen. Ihre fortlaufenden Forschungen hierzu bestätigen, dass das Impostor-Phänomen eine Vielzahl von psychischen Folgen nach sich ziehen kann.

Wahre Leistungen und Fähigkeiten werden unter dem Phänomen begraben.

„Ich freue mich ja über diese Position, aber….“ Dies ist ein beispielhafter Satzanfang für Menschen, die längerfristig unter dem Impostor-Syndrom leiden. Nach dem „Aber“ folgen zum Beispiel in Coachingsituationen mit Führungskräften häufig lange Relativierungen:

  • „Ich hatte da auch einfach ein bisschen Glück.“
  • „Ich glaube, die wussten gar nicht, auf wen sie sich da einließen.“
  • „Wahrscheinlich wurde ich genommen, weil ich näher dran wohne.“
  • „Irgendwie mochte mich der Personaler lieber.“
  • „Fachlich waren wir doch alle gleich gut.“

Mein Kunde war vor einigen Jahren als Geschäftsführer in den elterlichen Familienbetrieb eingestiegen, hatte mittlerweile die volle Verantwortung übernommen. Unter ihm war die Firma ansehnlich gewachsen, hatte sich neue Geschäftsfelder erarbeitet, war stabil am Markt. Die Fluktuation unter den Mitarbeitern war gering, viele waren seit etlichen Jahren hier. Wir trafen uns, weil dieser Jungunternehmer mit lähmender Nervosität vor Vorträgen, Mitarbeitergesprächen und Präsentationen zu kämpfen und das Gefühl hatte, dies werde immer stärker. Im Laufe unserer Zusammenarbeit stellte sich immer mehr heraus, dass hier eine Form des Impostor-Syndroms vorliegt. Er fragte sich ständig, wie um alles in der Welt er es bis hierhergeschafft hatte. Er glaubte sogar fest, dass er niemals so eine Rolle hätte übernehmen können, wenn er nicht der Sohn des Unternehmensgründers gewesen wäre. Irgendwann, so fürchtete er, würden die langjährigen Mitarbeiter vielleicht herausfinden, dass er nicht so stark und fähig war, wie sein Vater und einige Geschäftsführer. Gemeinsam schauten wir uns an, wie sein Weg hierher ausgesehen hatte. Unter all seinen Zweifeln und Befürchtungen hatte er die Tatsache begraben, dass er eine saubere Schullaufbahn, ein umfangreiches Studium, erfolgreiche Auslandsaufenthalte mit Praktika sowie Erfahrungen in anderen deutschen Unternehmen vorzuweisen hatte. Ich schlug ihm vor, einmal ein paar seiner Zeugnisse und Beurteilungen herauszusuchen und sie sich selbst laut vorzulesen. Einwandfreie Beurteilungen. „Können sie darauf stolz sein?“ fragte ich ihn. Die Antwort begann typischerweise mit „Eigentlich schon, aber…“
Mit der Zeit entwickelte er im Coaching verschiedene Strategien, um aus der Endlosschleife Impostor herauszufinden. Und damit sind wir bei der guten Nachricht: Dieses Phänomen ist weit verbreitet, sehr individuell zu betrachten, aber auch überwind- und zu einem Teil auch vermeidbar.

Die Ursachen des Phänomens sind vielfältig.

Wissenschaftler*Innen wie Dr. Sonja Rohrmann, die Psychologin Dr. Myriam Bechtoldt oder auch der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeff Bednar beschäftigen sich mit den Ursachen für das Impostor-Phänomen. Ein Fazit meiner Recherche dazu ist: Es ist immer eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. Die Anlagen werden häufig in der Kindheit und Jugend gelegt. Das kann Menschen betreffen, die früh das Gefühl hatten, vor allem für ihre Leistungen geliebt zu werden. Dr. Myriam Bechtholdt nannte in einem Interview ein weiteres Beispiel: „Kinder, denen vermittelt wurde, dass sie in allem gut sind und keinerlei Fehler machen, wurden nicht auf die reale Welt vorbereitet. Sie müssen zwangsläufig erkennen, dass auch sie scheitern und anderen unterliegen können.“ Dies sind nur zwei mögliche Faktoren von vielen, die die Entwicklung übermäßiger Selbstzweifel beeinflussen können.

Als Coach beobachte ich häufiger, dass Menschen sie in ihrem beruflichen Umfeld entwickeln. Eine Frau mit erfolgreichem Studienabschluss und einigen Jahren Erfahrung im Marketing- und PR-Bereich schilderte zum Beispiel: „Plötzlich ging dieses Gefühl nicht mehr weg, das alles hier gar nicht zu können. Mehr und mehr fühlte ich mich fehl am Platz und hatte das Gefühl, alle außer mir verstehen, was zu tun ist. So kannte ich mich gar nicht.“ Dieser innere Druck war über Jahre gewachsen. In ihrem Arbeitsbereich hatte sich in dieser Zeit eine Kultur des Wettbewerbs entwickelt. Wertschätzung gab es so gut wie gar nicht, Fehler führten entweder dazu, dass Kollegen*Innen regelrecht vorgeführt wurden, oder mussten um jeden Preis kaschiert werden. Die gegenseitige Bereitschaft zur Unterstützung war Stück für Stück einem grundsätzlichen Misstrauen gewichen. Im Fall dieser Frau führte dieses Umfeld in eine Spirale aus Selbstzweifeln, bis hin zu einem dauerhaften Erschöpfungsgefühl und gleichzeitiger Angst, vielleicht wirklich falsch in diesem Job zu sein. Dass sie zuvor jahrelang erfolgreich in genau diesem Job gewesen war, wirkte für sie wie eine schwache Erinnerung an eine andere Welt.

Wichtig: Offene Fehlerkultur

In einem Umfeld, in dem weder Lob noch Fehler offen angesprochen werden können, blühen Phänomene wie Impostor sehr schnell auf. „Die Wurzel des Hochstapler-Syndroms liegt im Gedanken, dass uns andere nicht so sehen, wie wir wirklich sind“, sagt Bryan Stewart von der Brigham Young University, der im Team von Jeff Bednar an einer aktuellen Studie (2018/19) unter 213 Studenten*Innen mitgearbeitet hat. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Unternehmen und Teams mit dazu beitragen können, die Spirale des Impostor-Phänomens zu durchbrechen. Wenn Betroffene die Erfahrung machen, dass ihr Umfeld sich auch für sie als Person interessiert, mit ihnen zusammen Herausforderungen und Fehler offen angeht, dann kann dies auf Dauer das Impostor-Gedanken-Karussell zumindest eindämmen.

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Gegenstrategien: Blickfeld erweitern, Realität neu entdecken.

Das Team um Jeff Bednar fand in seinen Umfragen außerdem heraus, dass persönliche Verdrängungs- oder Ablenkungsstrategien nicht helfen. Ebenso wenig half den Betroffenen, dass Gespräch innerhalb ihrer Mitstudenten zu suchen. Diese Taktik führte bei einigen sogar zu einer Verschlechterung.
Was aber häufig als hilfreich empfunden wurde, war die Suche nach Unterstützung im sozialen Umfeld außerhalb der Karriere-Peergroup. Gespräche mit Familienmitgliedern, Freunden, Vereinskollegen*Innen führten demnach schnell zu Verbesserung. Jeff Bednar erklärt das so: „In der eigenen Bezugsgruppe zu bleiben, verengt den Blick – auf den vermeintlichen Eigenmangel. Studierende, die Unterstützung außerhalb der eigenen sozialen Gruppe suchen, sehen hingegen eher das große Gesamtbild.“

Wir können jederzeit die persönliche Realität wieder freilegen.

Diese Beobachtung kann ich aus meiner Coaching-Arbeit nur bestätigen. Bei allen Abstufungen des Selbstzweifels, vom vorübergehenden schlechten Gefühl bis zum Impostor-Phänomen: Der Blick aus der Vogelperspektive hilft, wieder zurück in die Wirklichkeit zu finden. Begraben die übermäßigen Selbstzweifel die persönliche Realität von Leistungsvermögen, Wissen und Begabung, so können wir sie mithilfe von Coachingstrategien wieder freilegen. In sicherem Umfeld mit unbeteiligten Personen über diese kräftezehrenden Gedanken zu sprechen, sie mit der tatsächlichen Leistung und Fähigkeit abzugleichen, zu lernen, Wertschätzung zu hören und anzunehmen, gehören dazu. Mein oben erwähnter Kunde fühlt sich nach eigenen Angaben mittlerweile frei von der erschöpfenden Form der Selbstzweifel. Er sucht nun auch regelmäßig das Gespräch zu Mitarbeitern*Innen, um Feedback einzuholen und Fehler gemeinsam anzugehen. „Wenn der Gedanke aufkommt, andere könnten an mir zweifeln, mich für nicht gut genug halten oder mich nicht ernst nehmen, dann kann ich mich jetzt überwinden, sie einfach zu fragen“, schrieb er mir.

Für mich ein zentraler Punkt: Übermäßige Selbstzweifel bringen uns auf Dauer dazu, uns kommunikativ zurückzuziehen und gleichzeitig in unser Umfeld etwas hineinzuinterpretieren. Da unser Gehirn nicht nur auf Geschehnisse, sondern schon auf alarmierende Gedanken reagiert, manövrieren wir uns so Schritt für Schritt in eine Art Dauer-Alarm.

Diesen können wir aber auch wieder abschalten, in dem wir wieder in die Kommunikation einsteigen.

Hinweis:

Die Bandbreite der Formen von Selbstzweifeln und ihren psychischen Folgen ist groß. Dem Impostor-Phänomen kann nach den Erkenntnissen der von mir genannten Wissenschaftler in vielen Fällen durch die Unterstützung von Menschen im eigenen Umfeld entgegengewirkt werden. Oft fällt es Menschen aber auch schwer, mit Familienmitgliedern oder Freunden über solche Themen zu sprechen, da sie emotional mit uns verbunden sind. Als ausgebildete Coaches erleichtern wir als außenstehende Personen die Arbeit an persönlichen Gegenstrategien.

In manchen Fällen führt das dauerhafte Leiden unter dem Impostor-Phänomen aber auch zu Symptomen und Störungen, wie z.B. Burnout, Depression oder weitere chronische Erschöpfungssyndrome. Gibt es in meiner Coachingarbeit Hinweise auf solche Folgen, weise ich klar daraufhin, dass hier therapeutische Hilfe gesucht werden sollte. Als Coach unterstütze ich dann gerne dabei, die richtigen Anlaufstellen zu finden und begleite Menschen auf Wunsch auch weiterhin zusätzlich. Ein Coaching ist aber niemals der Ersatz für benötigte therapeutische Hilfe.

Mehr erfahren und/oder eigene Strategien finden.

Gerne biete ich Ihnen ein kostenloses Kontaktgespräch in vertrauensvollem Umfeld an, natürlich auch per Telefon oder Videochat. Es liegt mir am Herzen, dieses wichtige Thema ins Gespräch zu bringen, Ihre Erfahrungen zu hören und Menschen zu helfen, aus dem Strudel von Selbstzweifeln herauszufinden.
Kontaktieren Sie mich gerne jederzeit!

Karen Heese-Brenner

Karen Heese-Brenner

Zwei Dinge liegen mir am Herzen: Menschen zu helfen, ihr charismatisches Potential auszuschöpfen und Unternehmen zu ermutigen, Kooperationskultur zu leben.

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Karen Heese-Brenner

Ich bin als Business Coach und als Trainerin für sicheres Sprechen, Präsentation und Charisma in ganz Deutschland unterwegs. Mein Motto: Starke Persönlichkeiten führen und bilden starke Teams!

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